Königin kitzelt Fantasien wach

Über die sagenhafte Königin Semiramis wissen wir eigentlich so gut wie nichts: Von der altorientalischen Heldin oder Königin sind Berichte antiker griechischer und persischer Historiker überliefert, doch schon die waren sich nicht einig, ob Semiramis göttlicher oder menschlicher Herkunft und mit wem sie verheiratet war und wie und wo sie zur Herrschaft gelangte. Die Zuweisung der Hängenden Gärten in Babylon, eines der Sieben Weltwunder, an Semiramis stammt aus der Neuzeit. Die Vorstellung von einer Frau auf dem Thron kitzelte allerdings die Fantasien wach, und so wurden ihr von den Autoren bizarrste Schandtaten unterstellt. Der Stoff wurde somit ein gefundenes Fressen für die Verfasser barocker SeriaOpern, und das Libretto „Semiramide Riconosciuta“von Pietro Metastasio gehört zu den am meisten vertonten der ganzen Operngeschichte.

Vermutlich liegt es an den unglaublichen Irrungen, Wirrungen und Abstrusitäten der Libretti (weitere stammen von Apostolo Zeno, Antonio Simeone Sografi und Gaetano Rossi), dass diese Opern selbst in unseren ins musikalische Barock verliebten Zeiten nicht wieder aufgeführt werden. Die Mezzosopranistin Anna Bonitatibus hat sich auf die Suche nach den leidenschaftlichsten Arien gemacht.

Gemeinsam mit dem Barockensemble Collegium 1704 und seinem Leiter Václav Luks präsentierte sie ihre Funde im Festspielhaus Baden-Baden.

Zwischen der frühesten SemiramisOper von Antonio Caldara, die 1725 aufgeführt wurde, und der spätesten von Manuel García aus dem Jahr 1828 liegen über 100 Jahre, und obwohl die Opera seria kein Feld für musikalische Experimente war, unterlag sie doch den Einflüssen der Zeit.

Anna Bonitatibus, Václav Luks und das Collegium 1704 machten sich mit Energie, Leidenschaft, Herzblut, Hingabe und höchstem Sachverstand ans Werk und entfachten im leider nicht eben zahlreichen Publikum sofort Begeisterung. Von den ersten Takten an versprühten sie ansteckende Musizierlust – die exzellenten Instrumentalistinnen und Instrumentalisten des Collegium 1704 gingen ausgesprochen nuanciert zu Werke, mit feiner Artikulation, klarem, transparentem Klang und kräftigen dynamischen Gegensätzen. Alles leuchtete, sprühte und funkelte vor sensibler, kluger Vitalität. Anna Bonitatibus selbst vereint eine wunderbar timbrierte, ausgeglichene Stimme mit beeindruckender Virtuosität und interpretatorischem Feingefühl.

Die Koloraturen von Antonio Caldara, Georg Friedrich Händel und Niccolò Jomelli und die Fiorituren in den Arien von Sebastiano Nasolini und Giacchino Rossini wurden zum reinen Espressivo, anrührend gelang ihr der empfindsame Klagegesang Giovanni Paisiellos. Das Publikum ließ sie erst nach zwei Zugaben von der Bühne: Semiramis-Arien von Girolamo Crescentini und Nicola Porpora.