Semiramide, La Signora regale

Aus zahlreichen Vertonungen, die durch die historische Figur der Semiramis inspiriert wurden, hat Anna Bonitatibus eine gute Auswahl getroffen und interpretiert sie mit der Accademia degli Astrusi auf spannende und abwechslungsreiche Weise.
Die neue CD von Anna Bonitatibus ist ein ambitioniertes und äußerst gelungenes Projekt. Die Mezzosopranistin widmet sich der Königin Semiramis. Über 100 von dieser historischen Figur inspirierte Kompositionen sind bekannt. In der zwei CDs umfassenden Zusammenstellung‚ Semiramide – La Signora Regale’ sind Arien und Instrumentalmusiken aus vierzehn Kompositionen aus dem Zeitraum von 1725 bis 1828 versammelt. Komponisten wie Porpora, Jommelli, Paisiello, Meyerbeer und Rossini, aber auch Caldara, Bernasconi, Bianchi, Nasolini und García kommen zu Gehör.
Das äußerst umfangreiche und bestens aufgearbeitete Begleitbuch führt umfassend in das Thema Semiramis ein. Fakten zur historischen Person, der Mythos um die Königin, aber auch die musikalische Realisation des Sujets sind hier in gut verständlichen Artikeln versammelt. Selbst die Arientexte sowie eine kurze Einordnung des erklingenden Ausschnitts in die Handlung der jeweiligen Oper und in das Charakterbild Semiramis' sind vorhanden. Die Faszination für das Thema wird durch ein Vorwort von Anna Bonitatibus geweckt.
In diesem ca. 90-minütigen Kaleidoskop erklingen nun barocke Da-Capo-Arien ebenso wie Canzonen und Cavatinen. Und zeigen die Introduzione und die Arie 'Povera navicella' aus 'Semiramide in Ascalona' von Antonio Caldara eine zwischen Pflicht und Neigung zerrissene Frau, ist in der Arie 'Ah non è vano il pianto' aus 'Semiramide' von Andrea Bernasconi eine würdevolle, sich bezwingende Königin zu erleben. In der 1792 uraufgeführten Oper 'La Morte di Semiramide' kommt der Hörer dann schließlich nicht umhin, die Leichtigkeit und auch die verblüffende melodische Ähnlichkeit zu einer früheren Oper Rossinis zu bemerken, der selbst mit seiner dem Opernpublikum wohl bekanntesten Arie der Zusammenstellung, 'Bel raggio lusinghier', von Anna Bonitatibus interpretiert wird.
Vielfältig wie die hier vertretenen Gemütsregungen der altertümlichen Königin ist die Interpretation von Anna Bonitatibus. Ihre warme Stimme mit dem angenehmen Vibrato wird den aufbrausenden Koloraturläufen der Arien von Antonio Caldara und Nicola Porpora ebenso lückenlos gerecht wie den im Zaun gehaltenen, heroischen Linien von Andrea Bernasconi oder den tragischen Ausprägungen bei Paisiello. Die volltönende Mittellage der Sängerin fußt auf einer sonoren, aber nie gepressten Tiefe. In den Piano-Momenten verblüfft Bonitatibus dann mit einem vollendet- leichten Aufschwung in die höheren Stimmregionen; nur selten gelingt die extremere Höhe im Forte nicht ganz leuchtend. Noch bevor der Hörer sich in die Booklet-Informationen vertieft, lassen schon die feinen Abstufungen der Interpretation von Anna Bonitatibus den Hörer die Stimmung der jeweiligen Arie erspüren.
Großen Anteil daran hat natürlich der Dirigent der Aufnahme, Federico Ferri, mit der Accademia degli Astrusi. Das renommierte Barockorchester spielt mit durchsichtiger Klarheit und mitreißender Leichtigkeit, verleiht Semiramis, der Königin, wie Semiramis, der liebenden Frau, Jommelli wie Meyerbeer jeweils einen eigenen Klang, lotet stets die mögliche Spannweite der Interpretation aus. Es gelingt immer wieder von Neuem, den jeweils notwendigen musikalischen Charakter der einzelnen Komponisten, des darzustellenden Affektes und der Stilistik der Oper zu treffen. Gemeinsam mit einigen instrumentalsolistischen Hervorhebungen, dem Chor La Stagione Armonica und der stimmlichen Unterstützung von Vincenzo di Donato und Gian-Luca Zoccatelli entsteht ein Kaleidoskop, welches den mythischen Charakter einer Königin durch den Zeitraum von über 100 Jahren Kompositionsgeschichte nachzeichnet. Hier liegt eine spannende, hörenswerte und durch und durch gelungene Einspielung vor.